Börsenhandel:

Ein kurzer Leitfaden zu Grundlagen, Analysemethoden,
Handelsansätzen, Handelspsychologie

Dr. Wolfgang Linder

7. Mai 2021

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Inhaltsverzeichnis

1. Grundlagen über Börsen und das Drumherum
2. Grundlagen des Handels
3. Analysemethoden, Indikatoren, Trades
4. Layout
5. Handelsansätze
6. Warten
7. Trademanagement
8. Backtesting und Statistik
9. Risikomanagement
10. Handelspsychologie
11. Links


1. Grundlagen über Börsen und das Drumherum

1.1. OTC-Handel, Börsen und Broker

Im Prinzip kann man eine Aktie (oder eine Ware wie Strom, Öl, Kohle) direkt von jemandem kaufen, der die entsprechende Aktie verkaufen will. Dann muss man für jede Aktie mit jedem Verkäufer einen eigenen Vertrag aushandeln und zudem noch wissen, welche Verkäufer es überhaupt gibt. Das ist der sogenannte OTC-Handel (OTC = Over the counter). Er funktioniert gut zwischen grossen Firmen, zum Beispiel im Stromhandel.

An der Börse läuft das ganze vereinfacht ab. Die Käufer und Verkäufer geben ihre Angebote bei der Börse ab (meist auf einer elektronischen Plattform) und die Börse stellt sicher, dass die Angebote zueinander finden. Käufer und Verkäufer haben keinen Vertrag miteinander, sondern nur jeweils mit der Börse. Der Käufer weiss also nicht, von wem er gekauft hat. Die Produkte, die die Börse anbietet, sind standardisiert. Käufer und Verkäufer wissen also ganz genau, was sie gekauft oder verkauft haben und es kann nicht zu Unstimmigkeiten kommen bezüglich Preis, Menge, Laufzeit, Lieferfrist etc. Es ist nicht ganz einfach, an einer Börse zugelassen zu werden. Oft braucht man eine Banklizenz und muss finanzielle Sicherheiten hinterlegen, was nur für grosse Firmen möglich ist.

Deshalb gibt es Broker. Dies sind Firmen, die an der Börse zugelassen sind und ihren Kunden einen indirekten Zugang zur Börse ermöglichen. Sie bündeln die Aufträge ihrer Kunden und stellen die Summe durch ihre eigenen Händler bei der Börse ein. Dafür verlangen sie von ihren Kunden eine Gebühr, meist pro Transaktion oder in Form eines Aufschlags auf den Spread (Differenz zwischen Kaufs- und Verkaufskurs). Die meisten Retailtrader (selbständige Händler, Hobby oder professionell) handeln über einen Broker. Es gibt viele Broker, in Deutschland zum Beispiel FXCM, in der Schweiz Swissquote. Die meisten Broker haben Zugang zu vielen Börsen weltweit und bieten den Handel mit verschiedenen Produkten wie Aktien, Futures, Optionen etc an.

 

1.2. Kapitalbedarf, Eigen- oder Fremdkapital

Vor einigen Jahren konnte man mit relativ wenig Eigenkapital (z.B. 5000 Euro) über einen Broker Forex handeln (Foreign Exchange, Devisenhandel, also EUR/USD etc). Im Sommer 2018 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde aber den zulässigen Hebel deutlich verringert. Man kann also jetzt sehr viel weniger Geld bewegen als vorher und braucht meines Erachtens ein Kapital von mindestens 100'000 Euro, um sinnvoll zu handeln und messbaren Gewinn zu machen. Diese Einschränkung gilt nur für Europa. Bei Brokern in den USA und Offshore kann man eine deutliche grössere Hebelwirkung bei Forex nutzen.

Seit dieser änderung ist es aus meiner Sicht sinnvoller, mit Fremdkapital zu handeln. Dies funktioniert so, dass man bei einem Anbieter, zum Beispiel Topstep (https://www.topstep.com) oder OneUp Trader (https://oneuptrader.com), ein virtuelles Testkonto eröffnet, und unter Einhaltung bestimmter Regeln ein Gewinnziel erreicht. Hat man dieses erreicht, wird man als Trader angenommen und darf mit dem Geld der Firma handeln, wiederum unter Einhaltung der Regeln. Der Gewinn wird aufgeteilt, meist 70 oder 80 Prozent für den Trader, der Rest für die Firma. Man ist dann sozusagen freier Mitarbeiter und bekommt einen Lohnausweis. Diesen Lohn muss man dann ganz normal versteuern. Der grosse Vorteil bei dieser Arbeitsweise ist, dass man kein Eigenkapital braucht und auch nicht das Risiko eingeht, eigenes Kapital zu verlieren. Der Nachteil ist, dass man einen Teil des Gewinns abgibt. Die Regeln sind meist ziemlich restriktiv und eventuell muss man deswegen seinen Handelsstil umstellen. Dies betrifft unter anderem die Handelszeiten, die täglichen Verlustlimiten und die maximalen Hebel. Generell muss man wohl mit weniger Risiko handeln, als man es mit eigenem Geld tun würde. Dementsprechend sind auch die Gewinnmöglichkeiten kleiner. Es schadet aber nicht, mit strengeren Regeln handeln zu lernen. Auch wenn man später wieder mit eigenem Geld handelt, ist es gut, etwas Disziplin zu haben.

 

1.3. Lots, Points, Ticks und Pips

Man kann meistens nicht eine einzelne Aktie oder eine Tonne Kohle handeln, sondern muss eine Mindestmenge davon kaufen. Diese minimale Handelsmenge wird als 1 Lot (Los) bezeichnet. Zum Beispiel wären 1 Lot Aktien = 1000 Aktien oder 1 Lot Kohle = 1000 Tonnen Kohle. Bei EUR/USD sind 1 Lot = 100'000 Euro. Ein Lot kann also recht viel sein, deswegen gibt es bei manchen Anbietern und Produkten auch Mini- oder Micro-Lots.

Points (Punkte) werden im Aktienmarkt benutzt. Ein Point = 1 Dollar. Bei Aktienindices wie dem Dow Jones ist 1 Point = 1 Dollar änderung des gewichteten Mittels der einzelnen Aktien.

Ticks sind kleiner als 1 Dollar und mindestens ein Cent, also mindestens 0.01 Dollar. Ein Tick ist die Mindestgrösse, um die sich ein Preis ändern kann. Crude Oil kann von 52.13 auf 52.14 Dollar steigen, sich also um 0.01 Dollar ändern. Hier ist ein Tick also 0.01 Dollar. Im Forexmarkt werden Pips verwendet (Pip = price interest point, percentage in point). Ein Pip ist die änderung in der fünften Stelle des Wechselkurses, also normalerweise in der vierten Nachkommastelle. Wenn CHF/EUR von 1.1003 auf 1.1005 steigt, sind das zwei Pips.

Bei Renditen benutzt man Basispunkte. Ein Basispunkt entspricht 0.01 Prozent. Hier ist das nicht von Belang.

 

1.4. Produkte und Handelszeiten

Es gibt Forex, Futures, Aktien, Indices, CFDs und vieles mehr. Ich beschränke mich auf den Crude Oil Future, den ich über Topstep an der Börse NYMEX (Teil der CME Group) handle.

Die meisten Börsen haben am Wochenende und in der Nacht zu. Allerdings ist die Nacht in Japan oder Australien nicht zur gleichen Zeit wie hier, so dass man bei den meisten Brokern fast rund um die Uhr an irgendeiner Börse handeln kann. Jedoch schwankt das Handelsvolumen sehr mit der Tageszeit. Das grösste Volumen ist meistens dann, wenn die amerikanischen Börsen geöffnet haben, also etwa 14 Uhr bis 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit.

 

1.5 Weiterbildung

Viele Leute versuchen, an der Börse Geld zu verdienen. Die wenigsten schaffen es. Deshalb hat sich eine florierende Industrie entwickelt: die Trading Coaches. Unmengen von Leuten versuchen, anderen Leuten zu erklären, wie man mit dem Börsenhandel Gewinn macht. Nicht alle davon sind selbst gute Händler. Einige haben viel interessantes Lernmaterial, andere bieten teure Kurse oder die "neuesten, besten Indikatoren" an, die sich dann doch wieder als nutzlos herausstellen. Aus meiner Sicht findet man alle nötigen Informationen kostenlos auf dem Internet. Es gibt allerdings auch sehr gute Trading Coaches, zum Beispiel Jason Love (https://www.tradewithotg.com). Ich habe mehrere Male kostenlos als Gast in seinem Trading Room teilgenommen. Er hat eine klare Strategie und zieht sie so konsequent durch, dass es fast weh tut, zuzuschauen. Fünf oder sechs Verluste nacheinander am Anfang des Tages sind keine Seltenheit und man fragt sich, ob er wirklich weiss, was er tut. Aber mit dem letzten Trade ist der Tag plötzlich deutlich im Plus. Jason ist ein Musterbeispiel dafür, wie man handelt, wenn man komplettes Vertrauen in die eigene Methode und die eigenen Fähigkeiten hat.

 

1.6 Probleme

Wie oben erwähnt, gibt es viele Leute, die damit Geld machen, dass andere Leute Geld machen wollen und deswegen Rat suchen. Manche von ihnen sind seriös, manche nicht. Das gilt für Broker und Trading Coaches. Leider gilt das auch für Internetseiten, welche Broker und Trading Coaches beurteilen. Diese sind teilweise extra dafür gemacht, einen Broker gut aussehen zu lassen.

Bei Brokern hängt die Seriosität teilweise vom Geschäftsmodell ab. Wenn die Gebühren per Transaktion erhoben werden, hat der Broker ein Interesse daran, dass der Kunde so häufig wie möglich handelt. Ob der Kunde gewinnt oder verliert, ist eigentlich egal, aber wenn der Kunde kein Geld mehr hat, ist er kein Kunde mehr. Somit ist der Broker daran interessiert, dass der Kunde im Geschäft bleibt. Mancher Broker wird den Kunden mit Mails nerven, die "zweifelsfrei" belegen, dass mit mehr Kapital besser gehandelt werden kann und ihn drängen, doch mehr Kapital einzuzahlen. Aber diese Mails kann man ignorieren. Bei binären Optionen sieht das Geschäftsmodell anders aus. Der Kunde wettet im Prinzip gegen den Broker. Wenn der Kunde zu oft gewinnt, hat der Broker ein finanzielles Problem. Dann kann es passieren, dass die Handelssoftware plötzlich langsamer läuft, oder dass Geld nicht überwiesen wird. Dies sind meine eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen von mir bekannten Händlern. Deshalb rate ich absolut davon ab, mit Brokern zu arbeiten, die binäre Optionen anbieten. Auch sollte man eher mit Brokern arbeiten, die ihren Sitz in Deutschland oder der Schweiz haben (über Österreich habe ich keine Informationen). Wenn der Sitz "in der EU" ist, ist das nichtssagend. In Zypern zum Beispiel gibt es einige unseriöse Broker.

Die Webseite von Emmet Moore (http://www.tradingschools.org) zeigt Reviews von verschiedenen Trading Coaches. Die meisten sind nicht bereit, ihre Ergebnisse zu zeigen und werden dann als nicht seriös eingestuft. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf diese Seite zu werfen, bevor man Geld für irgendeinen Kurs oder einen LiveTradingRoom ausgibt. Man wird mit den Abgründen der Trading-Industrie konfrontiert.

 


2. Grundlagen des Handels

2.1. Variablen

Die beim Handel vorhandenen Variablen sind normalerweise Zeit, Preis, Volumen Kauf, Volumen Verkauf.

 

2.2. Begriffe, Definitionen

Ich benutze deutsche und englische Ausdrücke, weil ein grosser Teil der Fachliteratur auf englisch ist. Manche Sachen beschreibe ich für einen Kauf, das gleiche gilt dann umgekehrt für einen Verkauf. Das Open beim Crude Oil Future ist um 15 Uhr mitteleuropäischer Lokalzeit, also auch im Sommer, das Close um 21 Uhr. Da die Zeitumstellung in den USA allerdings ein oder zwei Wochen früher erfolgt als bei uns, gibt es während dieser Wochen eine Verschiebung um eine Stunde. Alle Grafiken sind aus dem TSTrader. Trades sind mit einem blauen Pfeil dargestellt. Beim Handeln steige ich beim "Entry" ein, mache beim "Stop" einen Verlust und beim "Target" einen Gewinn.

 

2.3. Orders

Es gibt vier Arten von Orders: Market Buy, Market Sell, Limit Buy, Limit Sell.

   Aktiv    Passiv  
  Kauf  Market Buy Order  Limit Buy Order  
  Verkauf    Market Sell Order    Limit Sell Order  

Market Orders werden direkt ausgeführt, das heisst, ich kaufe zum besten gerade verfügbaren Preis. Limit Sell Orders liegen oberhalb des aktuellen Preises, Limit Buy Orders darunter und werden durch Market Orders ausgelöst. In der untenstehenden Grafik kann ich 17 Lots bei 41.64 kaufen, dies ist momentan der beste Preis. Wenn ich eine Market Buy Order mit 20 Lots einstelle, bekomme ich 17 Lots zu 41.64 und die restlichen 3 Lots zu 41.65. Mit einer Market Buy Order wird also eine Limit Sell Order ausgelöst (und mit einer Market Sell Order eine Limit Buy Order). Das heisst, der Preis kann sich nur ändern, wenn aktive Käufer / Verkäufer vorhanden sind und Market Orders einstellen. Allein mit passiven Käufern / Verkäufern, die nur Limit Orders haben, bewegt sich der Preis gar nicht. Limit Orders sorgen dagegen für Liquidität, also dafür, dass der Preis nicht sprunghaft, sondern nur langsam steigt oder fällt, wenn Leute aktiv kaufen oder verkaufen. Sie bremsen also die Preisbewegung. Deshalb ist es riskant, in illiquiden Märkten zu handeln, da der Preis von wenigen aktiven Käufern / Verkäufern sehr stark verändert werden kann. Es ist auch riskant, Market Orders einzustellen, wenn sich der Preis gerade sehr schnell bewegt, zum Beispiel während wichtiger Nachrichten. Wenn man Pech hat, bezahlt man 5 oder 10 Ticks mehr als geplant.

Auf dem Ticker (Tick Stream, Tape) sieht man, welches Volumen (= gehandelte Menge) zu welchem Preis wann gekauft oder verkauft wurde, also die gerade ausgeführten Market Orders (z.B. Zeit: 21:33:10, Preis: 41.61, Volumen: 5). Im Orderbuch (Orderbook, Depth of Market = DOM) sieht man, welche Orders darauf warten, ausgeführt zu werden, wenn ihr Preis erreicht wird, also die wartenden Limit Orders (z.B. bei 41.65 kann man 52 Lots zu kaufen). Allerdings ist der Nutzen von Orderbuch und Ticker für den normalen Händler, der im Minuten- bis Stundenbereich arbeitet, eher beschränkt, es sei denn, man kennt sich sehr gut damit aus. Iceberg Limit Orders kann man dort sowieso nicht sehen und die ausgeführten Market Orders sieht man als Preisbewegung genauso auf irgendeinem Chart. Allerdings sieht man auf dem Ticker gut, wenn Händler mit grossem Volumen einsteigen.

Daraus ergeben sich zwei grundlegende Handelsmöglichkeiten.

1) Wenn aktiv gekauft wird (Market Orders), geht der Preis nach oben, beispielsweise von 41.63 auf 41.70. Das heisst, alle Limit Sell Orders zwischen 41.63 und 41.70 wurden von den Market Buy Orders aufgekauft. Da nun der Preis neu bei 41.70 ist, sollten darunter, also zwischen 41.63 und 41.70, neue Limit Buy Orders vorhanden sein anstatt den vorherigen Limit Sell Orders. Wenn der Preis aber schnell gestiegen ist, hatten die Leute nicht genug Zeit, um neue Orders einzustellen. Es gibt also nicht viel Liquidität zwischen 41.63 und 41.70. Anstatt den vorigen 20 bis 50 Lots gibt es jetzt vielleicht nur 5 oder 10 Lots. Wenn nun ein paar Leute verkaufen, fällt der Preis sehr schnell wieder, auch wenn das Verkaufsvolumen gar nicht gross ist. Hier kann man oft davon ausgehen, dass der Preis wieder steigt. Wenn man also einen steilen Preisanstieg mit Volumen sieht, gefolgt von einem steilem Preisabfall ohne Volumen, kann man kaufen. Dies wird auch als Pullback bezeichnet.

2) Wenn der Preis bis 41.70 nach oben geht, dann runter, dann wieder nach oben, aber die 41.70 nicht übertroffen werden, obwohl viel Kauf-Volumen da ist, sind wahrscheinlich bei 41.70 zu viele Limit Sell Orders. Wenn die aktiven Käufer trotz gutem Kauf-Volumen den Preis nicht nach oben drücken können, ist es wahrscheinlich, dass bald aktive Verkäufer einsteigen und der Preis nach unten geht. Wenn man also einen Preisanstieg sieht, gefolgt von einem Preisabfall und einem zweiten nicht ganz so hohen Preisanstieg, kann man verkaufen. Dies wird auch als Double Top bezeichnet.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preisanstieg mit Volumen -> Preisabfall ohne Volumen    kaufen    Pullback  
  Preisanstieg -> Preisabfall -> Preisanstieg (weniger hoch)    verkaufen    Double Top  

  Ticker:    Orderbuch:  

 


3. Analysemethoden, Indikatoren, Trades

Alle Indikatoren werden aus den Werten von Zeit, Preis und Volumen berechnet. Indikatoren bieten also keine neue Information, sondern erleichtern nur die Orientierung auf dem Chart. Das sogenannte Price Action Trading kommt ganz ohne Indikatoren aus. Da aber viele Leute Indikatoren benutzen, geben sie einen Hinweis darauf, wo die Leute gerne handeln, wo also viele Limit Orders liegen und viele Market Orders ausgeführt werden. In Zonen auf dem Chart, wo keine Indikatoren sind, verweilt der Preis meistens nicht lang und bewegt sich schnell durch bis zum nächsten Indikator. Es gibt hunderte Indikatoren. Im folgenden sind die erklärt, die ich benutze. Das Verständnis von Candlestick-Charts wird vorausgesetzt, andernfalls kann man kurz in der School of Pipsology nachschauen (https://www.babypips.com/learn/forex).

 

3.1. Volumenprofil

In der "Market Profile" Theorie von Steidlmayer geht man davon aus, das Preis und Wert verschieden sind. Der Preis ist nur eine Momentaufnahme und nicht identisch mit dem Wert des Produktes. Der Wert ergibt sich aus dem Mittel des Preises über die Zeit. Wenn sich die Marktteilnehmer einig über den Wert des Produktes sind, oszilliert der Preis um den Wert (Range-Modus) und der Wert bleibt relativ konstant. Wenn die Marktteilnehmer sich nicht einig sind, gibt es Preissprünge (Trend-Modus) bis ein neuer Wert gefunden ist, um den der Preis dann wieder schwanken kann. Die Value Area (VA) bezeichnet den Bereich, in dem 70 Prozent des gehandelten Volumens ist. Der Point of Control (POC) ist der Preis, an dem am meisten Volumen gehandelt wurde. Das Volumen wird hier auf der y-Achse des Charts dargestellt, also vertikal, als Summe über die Zeit (normalerweise seit Anfang des Tages oder Handelstages). Die Value Area ist innerhalb der roten Linien, die dünne gelbe Linie bezeichnet den Point of Control.

Daraus ergeben sich zwei grundlegende Handelsmöglichkeiten:

1) Die Teilnehmer sind sich einig über den Wert. Wenn dann der Preis bei niedrigem Volumen ausserhalb der Value Area ist, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in die Mitte der Value Area oder zum Point of Control zurückkehren. Man geht also von niedrigem Volumen (ausserhalb) zu hohem Volumen (innerhalb). Solche Trades sind hier mit einem blauen Pfeil dargestellt. In diesen Fällen ähnelt das Volumenprofil einer Glockenkurve (orange) und die Preise haben annähernd eine Normalverteilung um einen Mittelwert.

2) Die Teilnehmer sind sich nicht einig. Wenn der Preis ausserhalb der Value Area ist und das Volumen dort steigt, geht man in diese Richtung, bis ein neuer Wert gefunden ist. Das Volumenprofil ähnelt hier nicht einer Glockenkurve, sondern ist auf der Seite des neuen Trends konstant. In vielen Fällen ist es leider sehr schwierig zu erkennen, um was für ein Profil es sich wirklich handelt.

Wenn man zwischen Range und Trend unterscheiden will, ist der Vergleich mit dem Vortag sinnvoll. Liegt die heutige Value Area komplett ausserhalb der gestrigen wie hier im Bild, ist es eher ein Trendtag, andernfalls eher ein Rangetag.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  niedriges Volumen oberhalb Value Area    verkaufen    Return to mean  
  hohes Volumen oberhalb Value Area    kaufen    Trend  

 

3.2. VWAP

Volume Weighted Average Price (VWAP), also der volumengewichtete Mittelwert des Preises wird vom Anfang des Tages an berechnet. Wenn professionelle Händler über VWAP verkaufen, bekommen sie einen Bonus, darunter nicht. Wenn der Preis VWAP deutlich oder öfters durchbricht, ist es ein Range-Tag. Dann kann man bei der zweiten Standardabweichung von VWAP einsteigen und bei VWAP wieder aussteigen (Revert to Mean), ähnlich wie bei der Value Area von aussen nach innen. Ich bezeichne die unteren ersten zwei Standardabweichungen als M1, M2 (M = Minus), die oberen als P1, P2 (Plus). Im untenstehenden Bild wäre dieser Trade möglich gewesen von M2 nach VWAP. Wenn der Preis dagegen auf einer Seite von VWAP bleibt, ist es eher ein Trend-Tag und man geht von VWAP bis zur zweiten Standardabweichung (bzw von VWAP zum letzten Hoch bei Aufwärtstrends, von VWAP zum letzten Tief bei Abwärtstrends).

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  VWAP und P2 flach, Preis bei P2    verkaufen    Return to mean  
  VWAP steigt an, Preis bei VWAP    kaufen    Trend  

 

3.3. Opening Range und Initial Balance

Die Opening Range ist die erste Minute nach dem Open um 15 Uhr, also von 15:00 bis 15:01. Die Initial Balance ist die erste Stunde nach dem Open, also von 15 bis 16 Uhr. Viele kurzfristige Trader warten die erste Stunde ab, bevor sie sich positionieren. Hoch oder Tief der Opening Range, also der ersten Minute sind oft auch Hoch oder Tief des Handelstages. Wenn der Preis über Nacht gestiegen ist und das Open deutlich über dem Settlement des Vortages liegt, sind natürlich einige Käufer mit offenen Positionen im Markt, nämlich die, die während der Nacht gekauft haben (die sogenannten overnighters). Wenn beim Open kein neues Kaufvolumen kommt, sondern der Preis eher nach unten geht, werden die meisten ihre Positionen schliessen. Deshalb geht der Preis in diesen Fällen oft zurück bis zum Settlement.

  Hoch oder Tief der ersten Minute sind oft auch Hoch oder Tief des Handelstages.  

 

3.4. Horizontale Linien

3.4.1. Pivot Points

Der Vorteil von Pivot Points ist, dass sie den ganzen Tag über gleich bleiben. Das heisst, man kann eine Limit-Order einstellen und sie einige Stunden dort lassen, bis sie eventuell ausgeführt wird.

Die Pivot Points werden mit einer Formel aus Open, High, Low, Close des Vortages berechnet. Ausser dem Pivot Point (Dreh- oder Angelpunkt, ich bezeichne ihn als PP) gibt es die Supports S1 bis S4 (Unterstützungen) und die Resistances R1 bis R4 (Widerstände). Bei den meisten Handelsprogrammen kann man leider nur S1,S2,R1,R2 zeichnen, aber nicht 3 und 4. Ich zeichne sie manchmal von Hand ein und interpretiere sie auf 3 Arten.

a) Sie wirken als Attractor (Anziehpunkt). Das heisst, wenn der Preis nahe einem Level ist, wird er es meistens annähernd erreichen. Wenn also der Preis 10 oder 15 Ticks unter R1 ist (hellblaue Linie), ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er bis auf 3 oder 4 Ticks an R1 herankommt.

b) Die Levels wirken so, wie sie sollen, nämlich als Support oder Resistance. Wenn also der Preis schnell bis R1 steigt (hellblaue Linie) , es aber nicht richtig durchbricht (evtl wenige Ticks), wird er wahrscheinlich wieder auf ein Niveau von 10 bis 15 Ticks unter R1 fallen, oft sogar wieder bis Pivot.

c) Wenn ein Level deutlich durchbrochen wird, ändert es seine Funktion. Wenn der Preis den Pivot Point (hellgrüne Linie) von oben nach unten durchbricht, 10 bis 20 Ticks tiefer fällt und dann wieder zurückkommt, wird der Pivot Point wahrscheinlich als Resistance wirken und der Preis wird wieder fallen, möglicherweise bis S1.

   

Gesamtsicht mit allen Pivot Points:

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preis nähert sich Level von unten    kaufen    Attractor  
  Preis durchbricht Level von unten nicht richtig    verkaufen    Resistance  
  Preis hat Level von unten deutlich durchbrochen, nähert sich jetzt von oben    kaufen    Support  

 

3.4.2 Hoch und Tief des aktuellen Tages

Wenn der Markt eher im Range-Modus ist, erreicht der Preis manchmal fast das bisherige Tageshoch, dreht dann aber einige Ticks davor wieder um. Wie bei den Pivot Points kann man hier eine Order auch mehrere Stunden stehen lassen.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Range-Modus, Preis nähert sich dem Tageshoch    verkaufen    Return to mean  

 

3.4.3. Hochs und Tiefs der letzten Minuten, Stunden

Wenn der Preis das letzte Hoch deutlich durchbricht und dann wieder zurückkommt, wirkt das letzte Hoch häufig als Support (wie bei den Pivot Points im Fall c).

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preis hat letztes Hoch durchbrochen und kommt wieder zurück    kaufen    Support  

 

3.5. Diagonale Linien

3.5.1. Trendlinien

Trendlinien muss man meistens selber auf dem Chart einzeichnen oder man stellt sie sich einfach vor. Im Abwärtstrend steigt man bei der oberen Trendlinie ein und beim letzten Tief oder der unteren Trendlinie wieder aus (siehe Beispiel in 3.7).

 

3.6.1. ema20

Exponential Moving Average über die letzten 20 Perioden. Bei einem Trend bleibt der Preis oft auf einer Seite von ema20, also steigt man bei ema20 ein und lässt den Trade laufen, bis der Preis stagniert oder wieder ema20 erreicht.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preis ist unterhalb von ema20, nähert sich ema20    verkaufen    Trend  

 

3.6.2. ema100, Bollinger Bands

ema100 und Bollinger Bands benutze ich normalerweise nicht zum handeln. Aber wenn sie im Weg sind, passe ich manchmal das Target an, da der Preis dort oft dreht.

 

3.7. Oszillatoren und Divergenz

Ein Oszillator beschreibt in irgendeiner normierten Form die Differenz zwischen dem aktuellen Preis und dem mittleren Preis, beispielsweise über die letzten 20 Zeitpunkte. Ich benutze den RSI (Relative Strength Indicator). Er bewegt sich zwischen -100 und +100. Unter -70 wird der Markt als überverkauft (oversold, gepunktete rote Linie) interpretiert, über +70 als überkauft (overbought, gepunktete grüne Linie). Man geht davon aus, dass der RSI nicht zulange in diesen Bereichen verweilt. Wenn der Preis in einem Trend ein neues Tief macht, aber der Oszillator nicht, dann zeigt die untere Trendlinie (rot) beim Preis nach unten, beim Oszillator nach oben. Dies nennt man Divergenz zwischen Preis und Oszillator. Sie zeigt häufig ein Ende des Trends an. Man kauft nach dem Tief und geht meist bis ema20 (gestrichelt) oder bis zur oberen Trendlinie (hellblau).

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preis macht neues Hoch, RSI nicht    verkaufen    Divergenz  

 

3.8. Volumen: Cumulative Delta

Das Cumulative Delta zeigt das Volumen von Kauf und Verkauf im Zeitverlauf. Wenn der Preis mit Volumen stark hochgeht (a), dann ohne Volumen stark zurück (b), kann man kaufen (siehe auch Pullback in 2.3). Im Optimalfall bleibt der Preis oberhalb von ema20 (gestrichelte Linie). Die Darstellung des Cumulative Delta im TSTrader ist leider nicht optimal, kleine Bewegungen sieht man eher schlecht. Grün ist Kaufvolumen, rot ist Verkaufsvolumen, blau und grau sind eher neutral.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preisanstieg mit Volumen --> Preisabfall ohne Volumen    kaufen    Pullback  

 

3.9. News

Ich benutze keine News zum handeln, bin aber bei wichtigen Nachrichten nicht im Markt aktiv, sondern warte ein paar Minuten, um zu hohe Volatilität zu vermeiden. Zum Beispiel sind die Crude Oil Inventories normalerweise mittwochs um 9h30 Central Time (Chicago), also um 16h30 mitteleuropäischer Zeit. Von 16h29 bis 16h31 darf man bei Topstep wegen der potentiell hohen Volatilität keine offenen Positionen in Crude Oil haben.

 


4. Layout

Ich benutze die folgenden Charts und habe meistens alle davon auf dem Bildschirm ausser dem Tageschart. Allerdings ist mir am Bildschirm ein schwarzer Hintergrund lieber als der hier gezeigte weisse Hintergrund.

 


5. Handelsansätze

5.1. Allgemeiner Ansatz

Jede der vorgestellten Methoden ist gut, aber jede hängt vom Kontext ab. In einem starken Trend wird man mit ema20 oder Trendlinien mehr Erfolg haben als mit Volumenprofilen, bei einem Range-Tag ist es andersherum. Wenn man nur eine Methode stur anwendet, wird man sehr wahrscheinlich keinen Gewinn machen. Deshalb berücksichtige ich alle gezeigten Methoden und versuche, Widersprüche zu minimieren. Wenn bei einem Aufwärtstrend im 5-min Chart ein Double Top zu sehen ist mit Divergenz im RSI, und gleichzeitig der Preis nahe bei P2 und ausserhalb der Value Area ist, und dazu noch die Value Area von gestern ähnlich der heutigen ist, dann ist für mich die Chance sehr gross, dass der Preis wieder runter zum Point of Control oder zu VWAP geht. Wenn ich im 1-min Chart von der unteren zur oberen Trendlinie handeln will, aber dazwischen der Pivot Point oder R1 liegt, dann ist für mich die Chance eher klein, dass der Trade funktioniert. Ich versuche also, eine Synthese, ein Gesamtbild aus allen Informationen zu bekommen, immer im Wissen, dass alle Informationen auf den gleichen vier Grundvariablen beruhen (Zeit, Preis, Volumen Kauf, Volumen Verkauf).

Zusätzlich benutze ich noch einige Faustregeln (Annahme: Settlement und Point of Control des Vortages liegen tiefer als das heutige Open):

  • wenn der Preis nach dem Open nicht deutlich hoch geht, geht er zurück bis zum Settlement oder zum Point of Control des Vortages
  • wenn das morgendliche Hoch von 15 bis 17h nicht durchbrochen wird, kann der Preis zum anderen Ende der Value Area gehen
  • Einstieg bei wenig Volumen, Ausstieg beim POC
  • wenn der Preis das Settlement vor 15h erreicht, geht er oft weiter in diese Richtung
  • Range: Reward to Risk 2/1
  • Trend: Reward to Risk 4/1
  • nicht um den Point of Control handeln
  • wenn der Point of Control hochgeht, kaufen
  • wenn die heutige Value Area ausserhalb der gestrigen ist, in Richtung des Trends handeln
  • der Markt dreht oft gegen 15h30 (bei Crude Oil)
  • wenn das bisherige Hoch direkt vor dem Open erreicht wird, also zwischen etwa 14h55 und 14h59, dann geht das Open nach unten, meist bis vwap (bei Crude Oil)
  • wenn VWAP flach ist, aber P2 nach oben und M2 nach unten geht, dann lieber nicht handeln, weil es viele falsche Ausbrüche gibt (false Breakouts)

Der allgemeine Ansatz ist ziemlich anstrengend, weil man sehr viele Sachen gleichzeitig im Blick haben muss. Deswegen benutze ich noch zwei vereinfachte Handelsansätze, bei denen man weniger denken muss.

 

5.2 Ansatz mit letzten Hochs und Tiefs

Man sucht das letzte Hoch, an dem der Preis nur kurze Zeit verweilt hat (einzelne lange Kerze), wartet, bis dieses Hoch schnell und deutlich durchbrochen wird (wieder lange Kerze) und sich ein neues Hoch bildet. Dann wartet man weiter, bis der Pullback kurz vor dem ersten Hoch angekommen ist, steigt ein und geht zum zweiten Hoch. Warum funktioniert das? Die beiden langen Kerzen zeigen, dass der Preis nur kurze Zeit im Bereich des ersten Hochs verbracht hat, es wurde dort also nicht viel Volumen umgesetzt. Man befindet sich also im Bereich zwischen zwei Value Areas, wo niemand handeln will. Also ist auch nicht davon auszugehen, dass der Pullback unter das erste Hoch zurück geht. Es ist wahrscheinlicher, dass der Preis kurz vor dem ersten Hoch wieder dreht und nach oben geht. Das ganze klappt natürlich besser in einem Aufwärtstrend, also wenn auch die emas nach oben gehen. Analog geht das ganze mit den Tiefs in einem Abwärtstrend. Ob man den 30-min Chart (hier gezeigt) oder den 1-min Chart benutzt, spielt keine Rolle, da es nur um das Muster geht.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  schneller Durchbruch, neues Hoch, Preis kommt zum letzten Hoch zurück    kaufen    Pullback  

 

5.3. Ansatz mit kurzfristigen Volumenprofilen

Man kann Volumenprofile auch für eine kürzere Zeitdauer als den ganzen Handelstag zeichnen. Hier ist ein Aufwärtstrend gezeigt. Man erkennt im Volumenprofil deutlich drei verschiedene Bereiche mit höherem Volumen, die durch kleine Bereiche mit wenig Volumen getrennt sind (lila Linien). Es gibt also hier drei verschiedene Value Areas oder Konsolidierungszonen, in denen der Preis mehr oder weniger oszilliert, bevor er dann mit einem Sprung (lange Kerze) in die nächste Value Area geht. Zur besseren Übersichtlichkeit sind die einzelnen Value Areas mit Rechtecken markiert. Wenn der Aufwärtstrend nun zu Ende ist und der Preis wieder von oben in ein Rechteck hineinkommt, geht er meistens durch das ganze Rechteck hindurch. Man steigt also bei der oberen lila Linie ein und geht bis zur unteren lila Linie. Wenn man sicher gehen will, geht man nur bis zum Preis mit dem höchsten Volumen in diesem Rechteck, also dem Point of Control. Warum funktioniert das? Wenn der Preis in das mittlere Rechteck zurückkommt, wird der Wert im oberen Rechteck nicht akzeptiert, die Marktteilnehmer suchen also einen neuen Wert. Der letzte akzeptierte Wert lag beim Point of Control des mittleren Rechtecks, weil dort das höchste Volumen umgesetzt wurde. Also kann man annehmen, dass sich die Marktteilnehmer vorerst auf diesen Wert einigen und der Preis um diesen Wert oszilliert, also von einer Seite der mittleren Value Area zur anderen geht. Und irgendwann kommt dann der Sprung ins nächste Rechteck, entweder nach oben oder nach unten.

  Muster    Aktion    Bezeichnung  
  Preis kommt in die letzte Value Area zurück    verkaufen    Last accepted price  

 


6. Warten

Warten ist so wichtig, dass es ein eigenes Kapitel verdient. Beim Handeln setzt man sich an den Rechner und analysiert die Charts, das kann zwischen 5 Minuten und einer Stunde dauern. Meistens ergibt sich kein klares Bild. Es gibt viele Möglichkeiten zu handeln, aber keine sieht richtig gut aus. Wenn man dann das Denken und Analysieren abstellt und einfach eine Weile lang zuschaut, wie sich der Preis bewegt, dann bekommt man plötzlich ein Gefühl für den Tag. Und plötzlich sieht man Dinge, mit denen man aufgrund der Analyse nicht gerechnet hatte, zum Beispiel ein wunderschönes Double Top. Und dann muss man die Idee für einen Trade nicht suchen, sondern die Idee kommt einfach, ohne dass man aktiv denken muss. Der Übergang vom aktivem Denken zum passiven, aber aufmerksamen Beobachten ist aus meiner Sicht entscheidend. Aus dem Beobachten heraus mache ich die besten Trades.

 


7. Trademanagement

Wenn ich ein klares Bild habe, was passieren sollte, dann mache ich eine Vorhersage mit Entry, Stop und Target (und eventuell maximaler Zeitdauer) und publiziere sie auf linderenergie.ch. Wenn sich der Preis so entwickelt wie ich denke, stelle ich eine Limit Order ein mit vordefiniertem Stop und Target (sogenannte Brackets). Manchmal wird die Order ausgeführt, manchmal nicht. Manchmal muss ich die Vorhersage noch leicht anpassen, wenn zum Beispiel der Einstieg nicht von einer horizontalen Linie abhängt, sondern von einer Kurve wie ema20. Wenn die Limit Order ausgeführt wird, habe ich meinen Job gemacht. Entweder der Stop wird erreicht oder das Target. Oder es passiert nicht viel und nach einer Stunde beende ich den Trade. Ich mache kein Trade-Management mehr. Meiner Meinung nach verliert man zuviel Energie und Konzentration, wenn man Gedanken an einen offenen Trade verschwendet und versucht, ihn zu optimieren. Man kann sowieso nicht klar denken, weil Geld und Stolz im Spiel sind. Es ist besser, seine Kraft auf eine gute Vorhersage für den nächsten Trade zu verwenden. Ich habe getestet, was es konkret bringt, den Stop auf Break-Even zu ziehen. Bei meinem Handelsstil halten sich vermiedene Verluste und entgangene Gewinne genau die Waage. Es bringt mir also nichts und es kostet Zeit und Konzentration, also lasse ich es bleiben. Set and forget!

 


8. Backtesting und Statistik

Backtesting ist eine coole Sache. Man denkt sich eine Strategie aus, programmiert sie, lässt sie mit historischen Daten laufen und bekommt unglaublich gute Ergebnisse. Sobald man die Strategie dann mit einem Live-Account und echtem Geld anwendet, funktioniert sie plötzlich nicht mehr. Es mag Ausnahmen geben, aber ich habe noch keine gefunden. Der Grund liegt in der Funktionsweise der Börse. Sobald jemand ein sich wiederholendes Muster entdeckt, probiert er, es zu handeln. Je mehr Leute das tun, desto schneller verschwindet das Muster wieder. Die immer wieder auftauchenden Muster gleichen sich, sind aber gerade so verschieden, dass man eben nicht verlässlich damit Geld machen kann. Aus meiner Sicht lohnt es sich deshalb nicht, historische Daten anzuschauen oder Indikatoren und Strategien zu programmieren. Ich habe das jahrelang exzessiv getan (u.a. Fourieranalyse, Filter von John Ehlers, siehe Links in Kapitel 11) und bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Handelsansätze aus Kapitel 5 bessere Ergebnisse bringen. Was allerdings eventuell nützlich sein kann, sind wenn-dann Regeln, wie zum Beispiel "wenn der Preis vor 15 Uhr R1 erreicht, wie oft hat er dann in den letzten Tagen auch R2 erreicht". Manchmal sind solche einfachen Muster handelbar.

 


9. Risikomanagement

Es gibt aus meiner Sicht nur eine notwendige Regel: das tägliche Verlustmaximum muss einmal definiert und dann jeden Tag eingehalten werden. Wenn es erreicht ist, akzeptiert man diese Tatsache, schaltet den Rechner aus und sorgt durch körperliche Aktivität wie joggen, spazieren, schwimmen, Krafttraining etc dafür, dass der Stress wieder aus dem Körper entweichen kann. Ich habe noch eine weitere Regel für mich, die aber für andere Leute nicht sinnvoll sein muss. Nach drei Verlusttrades weiss ich, dass ich den Tag einfach nicht verstehe und höre lieber auf und gehe joggen.

 


10. Handelspsychologie

Das ist ein hoch spannendes Thema. Ich habe mich einige Jahre lang in der Handelspsychologie weitergebildet und denke mittlerweile, dass man vor allem ein sehr solides Verständnis der aktuellen Marktsituation und eine klar definierte Handelstechnik braucht. Psychologische Faktoren kommen vor allem dann ins Spiel, wenn das Verständnis fehlt und man sich überfordert fühlt. Ein vergleichbares Beispiel wäre ein guter Amateurfussballer, der plötzlich bei den Profis mitspielen darf und dort mit dem Tempo aber seine Mühe hat. Er kommt gedanklich nicht hinterher, fängt an, leichte Bälle zu verlieren, weiss in manchen Situationen nicht, was er machen muss und zögert deswegen. Darunter leidet sein Selbstvertrauen und er verliert noch mehr Bälle. Um das wieder gut zu machen und um seine Erwartungen an seine eigene Leistung zu erfüllen, geht er mehr ins Dribbling, was aber in den falschen Momenten keine gute Idee ist. Dann beginnt der Teufelskreis. Die Fachbegriffe im Handel sind: fear of missing out, fear of pulling the trigger, overtrading. Meiner Meinung nach ist der Grund für diese Probleme die Erwartungshaltung. Wenn der Amateurfussballer erst ein halbes Jahr mit den Profis trainieren und seine gedankliche und körperliche Schnelligkeit verbessern würde, könnte er sporadisch eingesetzt werden, wenn die Mannschaft schon 2:0 führt und er keinen Druck hat. Dann wäre keine Überforderung da. Der Händler sollte also nur handeln, wenn er die Marktsituation vollständig versteht und er keine Erwartungshaltung hat. Anders gesagt, wenn Können und Anforderung zueinander passen. Dies ist nämlich eine Grundvoraussetzung dafür, in den Flow zu kommen. Das heisst, der Händler sollte sich idealerweise auf eine einzige Technik konzentrieren, diese gut ausführen und alle anderen Situation interessiert beobachten. Leider ist dies sehr schwierig, da man sich im normalen Arbeitsumfeld daran gewöhnt hat, viele Stunden lang etwas zu tun, "produktiv" zu arbeiten und nicht "nur" zu beobachten. Also hat man den Drang, soviel wie möglich zu handeln, um "gut" und viel zu arbeiten. Leider geht das meistens schief. Man muss zuerst akzeptieren, dass der Handel wenig mit "normaler" Arbeit zu tun hat, bei der mehr Stunden mehr Produktivität bedeuten. Beim Handel kann das Gegenteil der Fall sein. Auf jeden Fall sollte man versuchen, nur zu handeln, wenn man versteht, was gerade im Markt passiert. Darüberhinaus sollte man immer versuchen, sein Verständnis und seine Schnelligkeit zu verbessern. Dafür ist es hilfreich, den Handel als Leistungssport zu begreifen. Genug Schlaf, wenig Alkohol, viel Bewegung. Vor dem Handel hilft es, zu meditieren. Die Meditation hilft nicht nur dabei, die eigenen Gefühle zu beruhigen, sondern vor allem, mehr Information aufnehmen und verarbeiten zu können und klarer, schneller und strukturierter zu denken.

 


11. Links

Bücher, ebooks, pdf
  Link  
  John Coates: The hour between dog and wolf  
  Das Buch beschreibt sehr konkret die Euphorie und den Stress, den Händler in verschiedenen Marktphasen durchmachen.  
  Link  
  J. Peter Steidlmayer, Steven B. Hawkins: Steidlmayer on markets  
  Steidlmayer hat das "Market Profile" entwickelt.  
  Link  
  Anand Sanghvi: The Red Pill  
  Wenn man sich fragt, ob man wirklich handeln will, sollte man das lesen. Ein Auszug:
" ... In fact, if you don’t perform, your boss will actually take money from your bank account. Yes, this job could actually cost you money. Who the hell signs up for a job like that? Traders. ... "
 
Interviews
  Link  
  John Hoagland von Topstep  
  Ein Teil der Faustregeln in meinem Handelsansatz stammt aus diesem Interview. Man sollte es UNBEDINGT hören, am besten mehrmals.  
  Link  
  Aaron Fifield: Chat with Traders  
  Viele Interviews mit Händlern, eine Fundgrube ...  
Internetseiten über Handelspsychologie
  Link  
  Brett Steenbarger: Traderfeed  
  Er schreibt etwa jede Woche einen Blogeintrag. Seit 2018 habe ich alle gelesen und alle sind gut.  
  Link  
  Rich Friesen: MindMuscles for Traders  
  Bei Rich Friesen habe ich einige Kurse über Handelspsychologie besucht. Mein Handel hat sich dadurch nicht wesentlich verbessert, aber mein Leben. Genau das hatte er am Anfang des ersten Kurses vorausgesagt.  
Diverses, Formeln
  Link  
  Mike Bellafiore von SMB über die Bedeutung der Atmung für den Börsenhandel  
  Link  
  Lance Beggs von YTC über profitable Trades, die man trotzdem nicht machen sollte  
  Link  
  Lokalzeit in Chicago, dort wo die CME ist  
  Link  
  Formeln für Pivot Points  
  Link  
  Link  
  Filter und vieles mehr von John Ehlers  
Broker, Börsen etc
  Link  
  FXCM  
  seriöser Broker, ich hatte lange ein Konto dort  
  Link  
  Swissquote  
  Broker in der Schweiz. Das ist nicht so trivial wie es klingt, es gibt Broker auf Zypern mit einem Swiss im Namen ...  
  Link  
  CME Group  
  an der CME Group, genauer an der NYMEX, wird der Crude Oil Future gehandelt  
  Link  
  Topstep  
  wenn man die "Combine" erfolgreich beendet, wird man bei Topstep als Händler akzeptiert und darf mit dem Geld der Firma handeln  
Weiterbildung
  Link  
  Babypips: School of Pipsology  
  Technische Analyse von Grund auf, für Forex, aber generell anwendbar  
  Link  
  Futurestrader71  
  Video über den Handel mit Volume Profile  
  Link  
  tradingschools.org von Emmett Moore  
  Reviews von Brokern und Coaches, bevor man Geld ausgibt, sollte man dort nachschauen  
  Link  
  tradewithotg.com von Jason Love  
  Aus meiner Sicht der beste Trading Coach, moderate Preise, Top-Qualität  

Und jetzt wünsche ich allen viel Erfolg beim Handeln!

Wolfgang Linder